Zen und andere Formen des japanischen Buddhismus

Zen und andere Formen des japanischen Buddhismus
Zen und andere Formen des japanischen Buddhismus
 
Die im 5. Jahrhundert v. Chr. in Indien von Siddharta Gautama, dem Buddha aus dem Geschlecht der Shakya (Shakyamuni Buddha), gegründete Religion spaltete sich seit etwa 100 v. Chr. allmählich in zwei regional und doktrinär unterschiedene Überlieferungsströme: in den auf das weltentsagende Ordensleben konzentrierten Buddhismus des »Kleinen Fahrzeugs«, den Theravada- oder Hinayana-Buddhismus, der sich vor allem in Ceylon, Thailand, Birma, Laos sowie in Kambodscha ausbreitete einerseits und andererseits in den auf das weltlich orientierte Laienleben in Familie und Beruf konzentrierten Buddhismus des »Großen Fahrzeugs«, den Mahayana-Buddhismus, der ab der Zeitenwende um Christi Geburt allmählich in China, Korea und Japan Fuß fasste. Japan bildete dabei das Zentrum des Mahayana-Buddhismus.
 
Japan trat als souveräner Staat verhältnismäßig spät in die Weltgeschichte ein. Erst der dem Buddhismus zugewandte Prinzregent Shōtoku-taishi schuf nach chinesischem Vorbild und in ständigem Gesandtschaftsaustausch mit dem chinesischen Sui- beziehungsweise Tang-Reich 603 n. Chr. eine dem Zentralherrscher verantwortliche Beamtenschaft: die »Zwölf-Beamtenränge«. Er erhob den überregionalen und übernationalen Buddhismus zur Staatsreligion und gab 604 dem Staat eine die Grundwerte der Gesellschaft und die Grundtugenden der Beamten festlegende konfuzianistische Verfassung. Diese »Siebzehn-Artikel-Verfassung« regelte die Beziehungen zwischen den Provinzverwaltungen und der Zentralverwaltung sowie das religiöse Leben. Die von Shōtoku-taishi initiierte Unterordnung der Sippenrechte (auch des Eigentumsrechts) unter das Tenno-Recht (das Kaiserrecht) wurde 645 durch die Taika-Reform des Tenji vollendet. Den äußeren Höhepunkt dieser politischen, kulturellen und religiösen Entwicklung Japans zu einem »Weltreich im Osten« markierte die »Feier der Augeneröffnung« des »Großen Buddha« des Tempels Tōdaiji in Heijō-kyō, dem heutigen Nara unter Vorsitz des Tenno Shōmu im Jahre 752, an der unter anderen auch diplomatische und religöse Gesandte aus Korea, China, Vietnam und Indien teilnahmen. Shōmu feierte den in der Lehrschrift »Kegon-Sutra« (»Sutra der Blumengirlande«) im Mittelpunkt stehenden »Sonnen-Buddha« als den Herrscher des Kosmos und Japan als Mittelpunkt seines kosmischen Reiches.
 
Shōmus Tochter Shōtoku konnte sich gegen die Machtkämpfe des Hofadels und der Mönche von Heijō-kyō nicht durchsetzen. Kaiser Kammudagegen befreite sich von den politischen und religiösen Institutionen und schuf sich 805 in Kyōtoeine neue kaiserliche Residenzstadt, in der sich bis zum 12. Jahrhundert in bewusster Auseinandersetzung mit dem Modell des Tang-Reiches allmählich eine autonome japanische Kulturform herausbildete, die heute als die japanische Klassik gilt. Sie wurde geprägt durch den politischen, kulturellen und künstlerischen Willen der Familien des Hofadels, vor allem der Familie Fujiwara. Fujiwara no Michinaga erreichte als Regent und Schwiegervater des Kaisers größten politischen Einfluss und führte die wirtschaftliche Macht zu ungeahnter Prachtenfaltung.
 
Der japanische Buddhismus der Asuka-Zeit (6. und 7. Jahrhundert) wurde maßgeblich von koreanischen Mönchen beeinflusst. Der Chan-Buddhismus (Meditationsbuddhismus) war japanischen Mönchen, die nach China reisten, schon in der Nara-Zeit, im 8. Jahrhundert bekannt, wurde aber zunächst nur als Meditationsform und nicht als eigenständige Schule wahrgenommen. Mit der Blüte des Chan-Buddhismus in China während der Song-Zeit übernahm Japan innerhalb einiger Jahrzehnte diese Form des Buddhismus als eigenständige Richtung unter dem Namen »Zen«. Die beiden Haupschulen des Zen-Buddhismus in Japan sind der Sōtō-Zen und der von Eisai Myōan von China eingeführte Rinzai-Zen. Die Rinzaischule hat heute noch großen Einfluss.
 
Der japanische Buddhismus war lange Zeit eng an Kaiserhaus und Hofadel gebunden. Zwar übernahmen in der Heian-Zeit vom 9. bis 12. Jahrhundert immer mehr geniale japanische Mönche wie Saichō, der Anfang des 9. Jahrhunderts die Tendai-Schule ins Leben rief, die alle Formen des Buddhismus in ein einziges System zu fassen versucht, und sein Zeitgenosse Kūkai der Stifter der Shingon-Schule, einer esoterischen Richtung des Buddhismus, die geistige Führung. Doch auch sie konnten die Selbstbegrenzung des japanischen Buddhismus und seine Bindung an die herrschenden Schichten nicht durchbrechen. Erst die Entmachtung des Hofadels durch den Kriegeradel ab dem 12. und 13. Jahrhundert und der westlichen Zentralregion Kinki (um Kyōto) durch die nordöstlichen Provinzen (Kantō mit dem neuen Regierungszentrum des Shogunats Kamakura) und die damit einhergehende Entwicklung der Provinzen bahnte dem Buddhismus den Weg in die Bevölkerung.
 
Diese äußere Begünstigung der buddhistischen Volksmission konnte aber nur deshalb von dauerhafter Wirkung sein, weil der Mahayana-Buddhismus mit seinem Erlöserideal des Bodhisattvas das Schwergewicht von den Mönchen zu den Laien verschob. In den Mittelpunkt rückte dabei immer mehr die Erlösungschance der Einzelperson, ohne Ansehen von Alter, Geschlecht, sozialem oder religiösem Stand. Außerdem erstarkte zunehmend die Hoffnung auf eine Erlösung hier und jetzt und nicht erst nach dem Tod oder nach weiteren Stationen im leidvollen Kreislauf von Geborenwerden und Sterben. Diese neue Betonung der Erlösungschancen des weltlichen Menschen hier und jetzt ist eine gemeinsame Tendenz der »Schulen des Kamakura-Buddhismus«. Zu den wichtigsten gehören hier der Amida-Buddhismus im Sinne von Hōnen Shōnen oder Shinran Shōnen, der Lotos-Buddhismus im Sinne von Nichiren und der Zen-Buddhismus von Eisai Myōan und von Dōogen. Bis auf den heutigen Tag haben diese Überlieferungsströme beziehungsweise die aus ihnen hervorgegangenen Religionsgemeinschaften in Japan die meisten Anhänger. Jede dieser religiösen Richtungen hat — ebenso wie die älteren Schulen der Heian-Zeit, Tendai und Shingon — einen eigenen Kunst- und Lebensstil hervorgebracht.
 
Ein weiteres Charakteristikum japanischer Religiosität, das in allen Jahrhunderten beobachtet werden kann, ist die Tendenz zum Synkretismus. In immer neuen Formen haben vom 6. Jahrhundert an Shintō und Buddhismus aneinander gebunden gelebt, einmal mehr unter der Vorherrschaft des Buddhismus, das andere Mal mehr unter der Vorherrschaft des Shintō. Vereinfachend, aber mit Rücksicht besonders auf die Edo-Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert prinzipiell richtig, kann man behaupten: Während die Riten des Shintō das dieseitige Leben schützen sollte, wollen die Riten des Buddhismus die jenseitige Ruhe sichern. Doch wenn man Synkretismus in Japan nur als Symbiose von Shintō und Buddhismus versteht, denkt man ihn zu einfach. Beide haben sich mit der Sozial- und Staatsethik des Konfuzianismus, mit dem mystischen oder magischen Daoismus sowie mit den vielfältigen Vorstellungen und Bräuchen des Volksglaubens verbunden. Auch heute noch empfinden es die meisten Japaner nicht als Widerspruch, in den Neujahrstagen sowohl zum Shintō-Schrein wie auch zum buddhistischen Tempel zu pilgern, eine Hochzeitszeremonie mit weißem Brautkleid in einer christlichen Kirche zu arrangieren und vor dem Hausbau zuerst den daoistischen Wahrsager nach den glückbringenden Tagen und Himmelsrichtungen zu fragen.
 
Prof. Dr. Johannes Laube
 
 
Elisseeff, Danielle und Elisseeff, Vadime: Japan. Kunst und Kultur. Ins Deutsche übertragen von Hedwig und Walter Burkart. Freiburg im Breisgau u. a. 21987.
 Schinzinger Robert: Japanisches Denken. Der weltanschauliche Hintergrund des heutigen Japan. Berlin 1983.

Universal-Lexikon. 2012.

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